Das elektrische Lesen

Bei der Suche nach einem Rezept geriet mir das Buch „Das elektrische Kochen“ meiner Mutter in die Hände, welches 1957 von der Berliner Kraft- und Licht (BEWAG)-Aktiengesellschaft in einer Auflage von 635. Tausend herausgegeben und zudem vom Kultusministerium der Bundesrepublik als Elektro-Kochbuch genehmigt wurde. Inhalt ist, neben den Rezepten natürlich, auch Aufbau und Bedienung der elektrischen Kochplatten. Bilder zeigen moderne Hausfrauen vor modernen Geräten. Offenbar war der Quantensprung vom Gasherd zum Elektroherd dem Kultusministerium ein ganzes Lehrwerk wert.

Minuten vorher suchte ich das Rezept auf meinem iPad. Kurz gab ich mich der Phantasie hin ein Lehrwerk „Das elektrischen Lesen“ zu schreiben in der Hoffnung, damit eine vergleichbare Auflagenhöhe wie der Titel „Das elektrische Kochen“ zu erreichen. Hand aufs Herz (nicht auf die Kochplatte!) – bei der Gerätevielfalt von E-Book Readern und Formaten scheint mir das elektrische Lesen genauso anspruchsvoll wie der Aufbau und die Bedienung der elektrischen Kochplatten. Lassen wir dem Stephan seine Träume von astronomisch hohen Auflagen und wenden uns dem Thema „Elektrisches Lesen“ zu.

Als Leser mit Suchtpotential war ich schon sehr früh Besitzer eines E-Book Readers. Mittlerweile verstaubt aber der Sony Reader der ersten Generation in einer Schublade und ich nutze neben dem Print mehrheitlich iPhone und iPad. Inhalt hier sollen aber nicht die Lesegeräte sein, sondern meine Leseerfahrungen mit den verschiedenen Angeboten aus Verlagen und meine Erfahrungen damit. Klar ist – meine Lesegewohnheiten haben sich verändert. So lese ich aktuell auf dem iPhone im Zug mit dem Kindle App von Meister Franzen Freedom im Original. Als Taschenbuch vermutlich fast ein Kilo belastet mich die Belletristik auf dem iPhone höchstens inhaltlich. Habe ich ein Problem mit einer Vokabel, so lasse ich einfach den Finger liegen und bekomme subito eine Definition. Sollte mich dann noch die Aussprache interessieren wechsle ich auf den Pons App und höre mir die Aussprache an. Alles wunderbar – ärgerlich ist lediglich die Haltung von Apple gegenüber dem Markt. Viele andere Gerätehersteller kooperieren mit Buchhändlern, Sony hierzulande beispielsweise mit exLibris und Thalia. Das Angebot an deutschsprachigem digitalen Lesestoff im Format Epub ist mit mehreren tausend E-Books inzwischen recht gross, aber noch lange nicht umfassend. Im Format Mobipocket gibt es vorwiegend Klassiker und Nischen-Belletristik, englischsprachig auch Bestseller. Amazon bietet für die internationale Version des Kindle rund 300.000 Bücher an, darunter viel aktuelle Belletristik, allerdings fast ausschliesslich englischsprachig. Bestseller gibt es selten ohne Kopierschutz – als Autor und Medienpädagoge finde ich diesen Umstand natürlich völlig korrekt. Bei Epub und PDF mit DRM ist zur Freischaltung des Lesegeräts die Adobe-Anwendung Digital Editions (Mac OS, Windows) notwendig. Die Sony-Geräte bringen eine eigene Verwaltungssoftware (Mac OS, Windows) für kopiergeschützte E-Books mit. Sie eignet sich wie Digital Editions auch zum Betrachten der Bücher am PC. Über Editions kann man E-Books auf den Reader übertragen, alle Reader werden aber auch als USB-Massenspeicher erkannt. Dank Mobileme oder Dropbox bringe ich auch PDF Formate auf das iPhone oder iPad.

Zeitungen und Magazine bereiten vor allem Vergnügen auf dem iPad. So kann ich als Abonnent zu einem kleinen Aufpreis auch eine digitale Version als App laden und habe den Vorteil eines konsequent gelebten erweiterten Textbegriffs. Zum Beispiel Filme, komplexe animierte Grafiken und weiterführende Artikel zu einem Thema. Die meisten Magazine machen beim Blättern eine gute Figur: Der Seitenaufbau liegt bei knapp über einer Sekunde und die Texte lassen sich gut anpassen. Die Schriftgrösse ist meist in Stufen einstellbar. Das iPad richtet den Inhalt automatisch aus. Während viele Verlage nach wie vor mit grosser Unsicherheit nach Modellen für das digitale Zeitalter suchen, haben doch einige damit offenbar Erfolg. So verkauft sich laut der New York Times zufolge zum Beispiel der „The New Yorker“ auf dem iPad hervorragend. Kann ich gut verstehen – bietet doch der „The New Yorker“ neben einer hervorragenden Gestaltung auch Erweiterungen die aufzeigen, wo die Möglichkeiten eines eMagazins im digitalen Zeitalter liegen. Geniessbar ist auch der App vom „Spiegel“ und „National Geographic“ mit herausragendem Foto und Filmmaterial. Wenig spektakulär finde ich das ansonsten so innovative „Wired“ Magazin.

Fazit: Kein Lesegerät lässt sich so einfach wie das iPad bedienen: Weder für das Kaufen noch für das Freischalten von Büchern ist ein PC notwendig und die Menüs sind ganz auf das Lesen ausgerichtet. Allerdings muss man sich mit dem fast ausschliesslich englischsprachigen Leseangebot von Amazon abgeben, das in der Schweiz zudem bei den aktuellen Bestsellern noch Lücken hat. Automatische Zeitungs- und Zeitschriften Abos als App funktionieren aber weltweit meist problemlos.

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